„Jetzt bitte alle zu mir. Lächeln – dreh Dich ein wenig, ja gut so! Jetzt nochmal alle hier, bitte.“ Der Wal, der sich langsam im Hintergrund dreht und mit prustender Gischt abtaucht, wird von der Gruppe nicht mehr gesehen. Aber er und die Runde sind am Foto und ist diese langfristige Archivierung des Momentes nicht viel wichtig als die paar Sekunden Whale-Watching?
Die Jagd nach dem perfekten Foto hat für 58 Prozent der Befragten einen ganz besondere Moment in Ihrem Leben massiv gestört, 91 Prozent haben dadurch sogar den Moment versäumt. Es ist wichtiger den Moment zu archivieren, als ihn zu genießen. Der Moment wird gedreht und gewendet, um ihn in perfekten Licht erstrahlen zu lassen; Familie und Freunde werden zu Statisten des inszenierten perfekten Moments.
Dem Moment festhalten oder genießen?
Ich kann die Umfrage gut nachvollziehen. Ab und an darf ich die eine oder andere Familienfeier fotografieren und als routinierter Pressfotograf, weiß ich den Moment einzufangen. Ich weiß die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, damit alle mit einem Lächeln zu mir blicken. Ich ziehe die Aufmerksamkeit vom Moment der Situation auf mich um die Stimmung einzufangen.
Vor kurzem ist mir der Gedanke gekommen etwas deplaziert zu sein: Bei einer Taufe hab ich mich direkt vor das Taufbecken geschoben und so direkt den Moment der Taufe perfekt abgelichtet. Zum Preis, dass die paar Personen hinter mir kaum mehr etwas von der Taufe sehen konnte. Mir war ganz klar, dass die wenigen Menschen hinter mir sicher dachten, „Na toll, genau jetzt muss der Kerl dort stehen!“ Ich habe die Interessen der Situation abgewogen. Das Festhalten des Momentes für die Familie und die Angehörigen war wichtiger, als die paar Menschen, die diesen Moment nicht direkt sehen konnten.
Es ist allerdings sehr schwer spezielle Momente zu gewichten. Wann ist es entscheidender den Moment zu archivieren oder ihn mit allen Sinnen und ganz ohne Ablenkung zu genießen?
Social-Media Selbstdarstellung
In den Social-Media Kannälen geht es meist um die perfekte Darstellung des Selbstbilds. Wie man gesehen werden möchte. Jeder will nur im besten Licht gesehen werden und keine Mühe ist zu hoch, um in super Pose und mit perfektem Lächeln sein achso perfektes Leben dem Rest der Welt zu präsentieren. Lebt Ihr Eure Freizeit nur wegen Eurem Selbstbild?
Vielleicht überlege ich mir künftig, ob das Handy unbedingt mit dabei, oder ob die Kamera immer griffbereit sein muss. Man kann auch gut und gerne Kaffee und Kuchen ohne mediale Bearbeitung genießen und es ist auch nicht nötig jede Sekunde des Lebens gleich der ganzen Welt auf allen Kanälen zu erzählen.
In diesem Sinne gehe ich jetzt ganz geheim und ohne food-porn was essen.