Die Kunst beim Bahnfahren besteht im Finden und Verwalten eines guten Sitzplatzes.
Es ist Freitag, 13:30 Uhr am Westbahnhof in Wien. Jeden Tag pendeln 246.922 Wahnsinnige nach Wien. Das sind wirklich viele Menschen.
Ein Teil davon vertraut auf die Österreichischen Bundesbahnen. Wer also im Zug Richtung Westen einen echt guten Platz bekommen möchte, muss alle psychologischen Register ziehen.
Die 8 besten Tipps für den idealen Sitzplatz beim Bahnfahren
- The early bird catches the worm. Früh am Bahnhof sein ist der sichere Garant für einen guten Platz. Wer zu spät kommt versäumt die Möglichkeit auf einen guten Platz und eventuell sogar den Zug.
- Man sucht sich einen guten Viererplatz, möglichst im vorderen Drittel des Zuges. Die Sich-sofort-Hinsetzer und die weiter-hinten-ist-sicher-noch-was-frei-Sucher fallen damit weg. Ein Tipp am Rande: Am komfortabelsten sind die Viererplätze in der Wagonmitte, da die Dämpfung der Achsen dort am besten ist.
- Man verteilt seine Habseligkeiten großflächig auf den vier Plätzen. Am besten die Aktentasche neben sich und den Rucksack und die Jacke gegenüber, um eine zweite Person zu simulieren, die sich kurz vom Platz entfernt hat.
- Jetzt kommt der schwierige Teil. Man isst eine Jause. Im Idealfall etwas olfaktorisch sehr Grenzwertiges. Auch optisch kann die Speise durchaus auffallen, eventuell sogar ein wenig abschrecken. Beispiele wären: Fleischkäse (in diesem Fall würde sogar ich einen späteren Zug wählen), verschiedene französische Weichkäse aus der Bretagne, ein Ochsenkopf oder auch lebende Nahrungsmittel. Speisen, bei denen man noch das Tier im Essen erkennt, sind besonders gut geeignet.
- Der Blick ist starr auf das Essen oder aus dem Fenster gerichtet. Merkt man, dass jemand neben einem steht, der aufdringlich Blickkontakt sucht ist klar: Der will hier sitzen! Jetzt hart bleiben und nicht hinsehen. Laut schmatzen kann helfen. Eventuell hat man Kopfhörer auf und sieht Headbangend aus dem Fenster. Das wirkt.
- Worst Case I: Man wird direkt angesprochen. Jetzt heißt es reagieren. Mit aufgesetzten Kopfhörern beginnt man lautstark zu singen. Ohne Musik gibt es noch die Möglichkeit in einer Phantasiesprache zu antworten und der Person schulterzuckend ein paar Euros oder einen Teil des Ochsenkopfes anzubieten.
- Worst Case II: Die Person nimmt wortlos Platz. Jetzt hilft nur ein kurzer Schrei, ob die Person wahnsinnig sei sich auf Onkel Charlie zu setzen. Dort, direkt neben Tante Hilde am Fenster sitzt Onkel Charlie.
- Wenn dies alles nicht hilft und die Person tatsächlich Platz genommen hat, gibt es noch die Möglichkeit eines spannenden Gesprächs, dass man unmittelbar beginnen sollte. Passende Themen wären etwa: Der morgendliche Stuhlgang, die ungewöhnliche psychische Verfassung in der man sich heute wiegt oder die unbeschreibliche Schönheit der Augen des Gegenüber. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt. Themen wie das Wetter oder Politik sollte man hingegen vermeiden.
Resümee
Wenn alle diese Tipps nicht helfen und ihr diese auch tatsächlich der Reihe nach angewandt habt, garantiere ich Euch eine absolut tolle Begegnung mit dieser Person, da Sie dann mindestens gleich durchgeknallt ist wie ihr.